3. Bickering


Kennt ihr diesen Moment, in dem sich wie in einem schlechten Film vorkommt? Momente, in denen man schockiert ist, weil etwas unerwartetes geschehen ist und man erwartet irgendeinen Moderator der hervorspringt und schreit: Du bist bei der versteckten Kamera!
Okay, dass hier war nicht so ein Moment, es war mehr einer dieser Momente, in denen man das Zirpen einer Grille erwartete, weil alles schwieg. Oder so ein Strohknäul, wie in alten Western, da jeder wusste, irgendetwas würde jeden Moment geschehen. 
Es hätte mich natürlich schon irgendwie gewundert, wenn so etwas passiert wäre, aber passend hätte ich es dennoch gefunden. 
Aber Jason schaffte es sich aus der Affäre zu ziehen. 
"Ich habe Rose und dich, entschuldige ich weiß deinen Namen noch nicht" Er zeigte auf Sam. "Vorhin vor dem Klassenzimmer gehört."
Dann zuckte er die Schultern, für ihn war das anscheinend genug Erklärung. Sam hingegen sah ihn verwirrt an. Natürlich tat sie das, denn wir hatten nichts vor der Klasse besprochen, schon gar nicht so etwas. Viel zu gefährlich belauscht zu werden. 
Ehrlich gesagt war ich sogar ein wenig beleidigt, dass er mich und Sam für so dämlich hielt. Das änderte aber nichts daran, dass mir diese Erklärung besser gefiel, als die richtige. Sam hingegen nicht. 
"A-", setzte Sam gerade an, aber da sprang ich schnell dazwischen.
Ich konnte sie nicht ausplaudern lassen, dass er log. 
"Danke für's ausplaudern", meinte ich. 
Sam sah mich vollkommen verwirrt an. Wahrscheinlich fragte sie sich, warum ich ebenfalls log. Aber nachdem ich ihr einen vielsagenden Blick zu warf, blieb sie still. Sie warf mir ebenfalls einen Blick zu, der mich dazu zwang ihr später zu erklären, was all das hier sollte. 
Danach funkelte ich Jason gespielt wütend an. Immerhin hatten wir Publikum. 
Er gluckste und zwinkerte mir zu. Dann schubste er sich von der Wand ab, an der er lehnte und grinste in die Klasse. Sofort schienen alle vergessen, wovon wir gerade sprachen und jeder beobachtete ihn mit den Augen eines Adlers. 
"Sorry", meinte er an mich gewandt. "Die Stunde ist gleich vorbei, also esst eure M&M's auf und geht schon mal in die Pause."
Alle schienen ein wenig überrascht, über die Apruptnis mit der er nun sprach und mit diesem bestimmendem Unterton. 
"Rose, Sie bleiben bitte noch einen Moment, der Rest kann gehen."
Nun sprach er wie ein Lehrer. Normalerweise blieben auch ein paar Schüler in der Klasse, aber der Ton von unserem neuen Lehrer ließ keine Zeit für Diskussionen. Alle erhoben sich und trotteten aus dem Raum. 
Ziemlich viele warfen mir merkwürdige Blicke zu. Manche schadenfrohe, weil sie dachten ich würde eine Standpauke erhalten. Ein paar Mädchen eifersüchtige, weil ich allein mit ihm einem Raum sein würde. 
Und Sam. Sie sah mich fragend, überrascht und irgendwie mitleidend an. Ich versuchte ihr mit meinem Blick deutlich zu machen, dass ich es ihr erklären würde. Sie schien es zu verstehen, denn sie nickte kaum merklich und verließ dann den Raum.
Die neugierigsten Schüler ließen sich die meiste Zeit, aber Jason wartete an der Tür, um sie auch nach dem letzten Schüler zu schließen und allein mit mir zu reden. 
Schließlich hatte auch das letzte Mädchen - nach einem letzten Klimpern der Wimpern und einem großen Lächeln - den Klassenraum verlassen und die Tür war zu. 
Wieder war diese Stille da, die man mit einem Messer hätte zerschneiden können. Ein gewisses unangenehmes Gefühl breitete sich in mir aus, aber ich schluckte es herunter. 
Jason drehte sich in meine Richtung und fixierte mich mit seinem Blick. Mir wurde eiskalt und ich fragte mich, was er sah. 
"Rose also", bemerkte er dann. 
Für einen Moment war ich verwirrt, aber dann fiel mir wieder ein, wie er mich "Sugar" genannt hatte, da er meinen Namen nicht gewusst hatte. Unwillkürlich hoben sich meine Mundwinkel und ich musste grinsen. 
"Besser als Sugar, oder?", entgegnete ich lachend. 
Er gluckste ebenfalls und schüttelte den Kopf, während er den Boden angrinste und auf mich zukam. Ich blieb sitzen wo ich war und sah ihn fragend an. 
"Kann ich nicht behaupten", grinste er mich.
Dann ließ er sich auf den Stuhl in der ersten Reihe, direkt mir gegenüber, fallen und hob eine Augenbraue. 
"Was?", fragte ich verwirrt.
Er sah mich so merkwürdig an. Hatte ich was im Gesicht? Erwartete er eine Antwort? 
"Nichts", gluckste er. "Wie bist du nach Hause gekommen?"
Für einen Moment stutze ich. Wieso interessierte ihn das? Und wieso schickte er alle weg, um mich das extra zu fragen?
"Wieso?", fragte ich. 
Er zuckte die Schultern. Ihm schien die Frage nicht zu gefallen, aber ansehen konnte man ihm nichts. 
"Neugierde", meinte er also.
"Und jetzt die Wahrheit?", fragte ich.
Ich grinste und lehnte mich mit verschränkten Armen zurück. Nun schien er überrascht. Mit großen Augen sah er mich an. Aber dann blickte er mich verwundert an. 
"Dir ist schon klar, dass ich dein Lehrer bin und du nicht so mit mir reden kannst?", fragte er mit gerunzelter Stirn.
"Ist das so?", grinste ich. 
"Ja", beschwerte er sich. 
Seine Miene wurde ernst und seine Augen verengten sich. 
"Sobald du mit mir wie eine Schülerin sprichst, werde ich mir dir wie mit einem Lehrer sprechen", stellte ich klar und zuckte die Schultern. 
"Rose", meinte er warnend. 
Ich seufzte und ließ den Kopf hängen. Wieso musste er mir den ganzen Spaß verderben?
"Ich bin gelaufen", antwortete ich also. "Zufrieden?"
"Und jetzt die Wahrheit", forderte er grinsend.
"Ach, und du darfst das?", fragte ich lachend.
Wieder schüttelte er grinsend den Kopf. 
"Du solltest mich eigentlich siezen", tadelte er.
Dabei grinste er aber so breit, dass ich mir nicht sicher war ob er scherzte oder es ernst meinte. 
"Du mich auch", erwiderte ich schelmisch grinsend. 
"Ach quatsch", winkte er ab. 
Wir beide lachten. Ich hatte noch nie mit einem Lehrer allein gesprochen, aber so hatte ich es mir sicherlich nicht vorgestellt.
"Also: Wie bist du nach Hause gekommen?", fragte er nun wieder ernst.
"Wieso glaubst du mir nicht?"
Er hob eine Augenbraue in der Art: 'Ist das dein ernst?'.
"Hast du mich das jetzt ernsthaft gefragt?", bestätigte er meine Gedanken. "Dir ist klar, dass das meine Wohnung war? Und ich fahre jeden Tag mit dem Auto und brauche an guten Tage eine halbe Stunde. Außerdem wohnst du sicherlich nicht direkt hier an der Schule. Du bist niemals zu Fuß gelaufen. Also entweder -"
"Ist ja gut!", unterbrach ich. "Redest du immer so viel?"
Jason lachte kurz auf und zuckte die Schultern. 
"Na schön", seufzte ich also. "Ich bin zu Fuß gegangen. Vorerst, okay? Dann hab ich eine U-Bahn Station gefunden und bin damit nach Hause gefahren."
"Schwarz?", fragte er und hob eine Augenbraue.
"Jap", meinte ich. "Und da ich an dem Tag noch nicht genug Glück gehabt hatte, ja, damit meine ich dich" Er gluckste. "Wurde ich auch noch kontrolliert."
"Und? Wie hast du das ganze gelöst?", fragte er amüsiert. 
"Ich hab angefangen zu weinen", zuckte ich die Schultern. 
Er lachte schallend los und schmiss den Kopf in den Nacken. 
"Clevere Lösung", lachte er. 
"Danke", grinste ich. 
Es klopfte schüchtern an der Tür und sie wurde langsam einen Spalt breit geöffnet. 
"Entschuldigung?", fragte ein kleines Mädchen.
Sie war in der sechsten oder siebten Klasse vielleicht. Emely war ihr Name, sie war die kleine Schwester von Adam glaube ich. Vermutlich war sie seinetwegen hier. 
"Nicht jetzt", meinte Jason.
Das Mädchen sah ihn einen Moment verwundert an. Vielleicht kannte sie ihn noch nicht?
Jason hingegen sah das kleine Mädchen abwartend an und forderte sie mit seinem Blick dazu auf, wieder zu gehen. 
"'Tschuldigung", nuschelte das kleine Mädchen und verließ den Raum schnell wieder. 
"Das war irgendwie fies", kicherte ich.
"Wieso?", fragte er und hob eine Augenbraue.
"Sie wollte vermutlich nur zu ihrem großen Bruder und dann hast du sie vor den Kopf gestoßen."
Er gluckste und schüttelte den Kopf. Dann fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. Sofort folgten meine Augen der Bewegung. 
"A pro pro vor den Kopf stoßen", bemerkte er. "Mein Bruder hat nicht aufgehört von dir zu schwärmen."
Er sah mich mit einem vielsagendem Blick an und grinste unverhohlen. 
"Wie bitte?"
Das warf mich nun wirklich aus der Bahn. 
"Mein Bruder redet ohne Punkt und Komma über dich", wiederholte er nochmal langsam. "Verständlich genug für dich?"
"Ha ha", meinte ich augenverdrehend. 
"Das ist mein ernst", erwiderte er. 
Er stand auf, wühlte in seiner Hosentasche und hielt mir eine Karte hin. 
"Seine Nummer. Melde dich bei ihm. Langsam geht er mir auf die Nerven."
Und damit wandte er sich zu seinem Tisch, nahm seine Sachen und ging in Richtung Tür. Währenddessen starrte ich auf die Karte in meinen Händen. 

Christian Burk
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Machte er sich über mich lustig oder sagte er mir die Wahrheit? Wieso sollte sein Bruder jetzt noch an mich denken? Und wieso sollte er gerade seinem bruder das Ohr vorheulen?
  "Bis morgen, Sugar", verabschiedete sich Jason. 
Gerade als ich aufsah, verließ Jason den Raum. Lachend schüttelte ich den Kopf. 

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